Dörfer und Kleinstädte sind die wichtigsten ländlichen Siedlungsformen in Deutschland und Mitteleuropa. Hier leben und arbeiten die Menschen, hier findet soziales Leben statt und der Alltag ist ständig im Wandel.
Nach dem laufenden Raummonitoring des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) leben im Jahr 2019 rund 10 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung in ländlichen Gemeinden und weitere 29 Prozent in Kleinstädten. Allein diese Zahlen sind Grund genug für die sozialwissenschaftliche Raumforschung, sich mit diesen Siedlungstypen und ihren Lebensbedingungen näher zu befassen.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts bedeutete der ländliche Raum für viele Menschen eine Einheit von Leben und Arbeit – letzteres vor allem in der Landwirtschaft, in manchen Regionen aber auch in der Forstwirtschaft oder Fischerei sowie im Handwerk und Handel. Heute ist das Dorf in erster Linie Wohnort, mit oft großen Neubaugebieten am Dorfrand und einer spärlichen Versorgungsfunktion für die Bevölkerung, sowie Arbeitsplatz für Klein- und Kleinstbetriebe wie z.B. Gewerbetreibende. Der primäre Sektor als Arbeitgeber spielt dagegen trotz der weitgehenden Umzingelung durch landwirtschaftliche Flächen kaum eine Rolle in der lokalen Wirtschaft – in vielen Dörfern ist heute keine einzige Frau und kein einziger Mann im primären Sektor tätig. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass kaum ein Prozess das Erscheinungsbild und die Funktion moderner Dörfer in Deutschland so stark verändert hat wie der Strukturwandel in der Landwirtschaft – also die Mechanisierungs-, Rationalisierungs- und Intensivierungsprozesse, die seit den 1950er Jahren (und zum Teil auch schon früher) zu einem lang anhaltenden und extrem starken Rückgang der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte, zur Auflösung von Kleinbetrieben und zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität beigetragen haben.
Parallel zu diesem Strukturwandel kam es zu einer Verstädterung der Gesellschaft insgesamt und zu einer infrastrukturellen „Erschließung“ des Dorfes, wie z.B. der Bereitstellung von Schulen, Gemeindezentren und technischer Infrastruktur. Dörfer sind heute durch eine gemischte Sozialstruktur gekennzeichnet, Pendeln ist die Regel. Die Alterszusammensetzung hängt stark von der geographischen Lage des Dorfes (z.B. in Bezug auf die Nähe zu einem Bevölkerungszentrum) und der demographischen Entwicklung der Region ab: So gibt es Dörfer, in denen ältere Bevölkerungsgruppen dominieren, während in anderen auch viele Familien mit Kindern leben. Deren Arbeitsplatz befindet sich in der Regel nicht mehr im Dorf, Pendeln und Versorgen sind die Regel. Die Lebensbedingungen in den verschiedenen Dörfern des Landes sind eines der Themen eines einzigartigen Langzeitforschungsprojekts des Thünen-Instituts.
Aber wann kann eine Siedlung als Dorf bezeichnet werden? Kommt es nur auf die Größe und Lage des Dorfes an, oder sind auch andere Merkmale wichtig? Obwohl es keine allgemeingültigen Antworten auf diese Fragen gibt, kann ein Dorf nicht willkürlich definiert werden. In Mitteleuropa, so der Geograph Gerhard Henkel, ist ein Dorf eine ländliche Siedlung mit mindestens 100 Einwohnern oder 20 Haushalten. Kleinere ländliche Siedlungen werden je nach Region und landwirtschaftlicher Struktur z. B. als Bauerschaften oder Weiler bezeichnet. Große Dörfer können bis zu 400 Häuser oder Gehöfte und mehr als 2000 Einwohner haben. Oder auch mehr: So ist die Einwohnerzahl von Siedlungen, die am bundesweiten Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ (früher „Unser Dorf soll schöner werden“) teilnehmen können, seit 1961 auf eine konstante Zahl von 3.000 Einwohnern begrenzt. Die Einwohnerzahl, der landwirtschaftliche Charakter und die landwirtschaftliche Baustruktur – ob die Häuser heute noch so genutzt werden oder nicht – gelten als die bestimmenden Merkmale eines Dorfes.
Dörfer gibt es in unterschiedlichen Formen und Lagen: Das Dorf ist eine ländliche Einzelsiedlung, die von der umgebenden Kulturlandschaft umgeben und mit ihr verbunden ist. Es gibt aber auch Dörfer im sogenannten „Speckgürtel“ von Großstädten. Nicht zuletzt sind Dörfer Teil von Städten, da sie seit dem späten 19. Jahrhundert in übergeordnete Verwaltungseinheiten eingegliedert wurden.
Kleinstädte
Kleinstädte sind die Versorgungs-, Wirtschafts- und Kulturzentren des ländlichen Raums. Vielerorts spielen sie auch als Sitz von Verwaltung und politischen Gremien eine wichtige Rolle für ihr Umland. Aus raumordnerischer Sicht wird ihre Bedeutung durch die Einstufung als Grund- oder Unterzentrum mit Einrichtungen zur Deckung des Grundbedarfs der Stadtbevölkerung und des Umlandes oder als Mittelzentrum, das auch über zentrale Einrichtungen und Angebote zur Deckung des gehobenen Bedarfs verfügt, unterstrichen.
Ob eine Stadt als „klein“ gilt, hängt vom Vergleichsmaßstab und den nationalen Gegebenheiten ab. In Dänemark beispielsweise haben Kleinstädte zwischen 1.000 und 5.000 Einwohner, während sie in den Vereinigten Staaten weniger als 50.000 Einwohner haben. In Deutschland definiert die amtliche Statistik seit 1875 Kleinstädte als Städte mit einer Einwohnerzahl zwischen 5.000 und 20.000 Personen. Noch kleinere Städte werden manchmal als „mittlere Städte“ bezeichnet, während größere Städte als mittelgroß gelten. Großstädte sind definiert als Siedlungen mit 100.000 oder mehr Einwohnern. Diese rein quantitative Definition einer Stadt war im 19. Jahrhundert eine logische Antwort auf den gesellschaftlichen Megatrend der Verstädterung im Zuge der Industrialisierung und den Bedeutungsverlust des bis dahin wichtigen Rechtsstatus einer Stadt. Diese Typisierung anhand der Bevölkerungszahl wird auch heute noch verwendet – teilweise ergänzt durch eine Veränderung des Kriteriums der Zentralität. In der aktuellen BBSR-Raumbeobachtung werden Gemeinden eines Gemeindeverbandes oder einer Einheitsgemeinde als Kleinstädte verstanden, wenn sie zwischen 5.000 und weniger als 20.000 Einwohner haben oder wenn ihnen von der Regionalplanung zumindest eine grundzentrale Funktion oder teilweise mittelzentrale Funktionen zugewiesen wurden.
Wie im Falle eines Dorfes ist auch bei einer Kleinstadt zu beachten, dass eine relativ geringe Einwohnerzahl ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium ist. Darüber hinaus ist die Bebauung weniger dicht als in Großstädten, aber immer noch städtisch. Dies ist auf die kleinen und relativ stabilen Eigentumsverhältnisse zurückzuführen. Historische bauliche Überreste, wie die Stadtmauer oder das historische Rathaus, sind ebenfalls typisch für Kleinstädte in Deutschland und wichtig für die lokale Identität.
Für die meisten Kleinstädte in wirtschaftsschwachen Regionen waren die Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung 1990 mit einem deutlichen Verlust von Arbeitsplätzen in Industrie und Landwirtschaft sowie im öffentlichen Sektor (z.B. in Verwaltung und Militär) verbunden. Dies galt vor allem für Ostdeutschland, aber auch für Regionen in den westlichen Bundesländern, z.B. in der Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze, war und ist die wirtschaftliche Strukturschwäche in Verbindung mit den negativen Auswirkungen des demographischen Wandels charakteristisch. Viele Kleinstädte haben wichtige Infrastruktureinrichtungen wie z.B. weiterführende Schulen verloren und hatten mit einem Bevölkerungsrückgang, insbesondere durch Abwanderung, zu kämpfen. Betrachtet man neuere Daten, so ist in den westdeutschen Kleinstädten nach dem Zensus 2011, genauer gesagt zwischen 2012 und 2019, wieder ein leichter Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, während sich der Rückgang in den ostdeutschen Kleinstädten abgeschwächt hat. Die Zahl der Arbeitslosen im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist im gleichen Zeitraum überall gesunken. Dies ist nicht nur auf den Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zurückzuführen, sondern auch auf die schrumpfende Bevölkerung – eine der vielen Folgen des demografischen Wandels.
Kleinstädte ergänzen die vielfältige Städtelandschaft Deutschlands und machen deutlich, dass „Stadt“ und „Land“ keine absoluten Raumkategorien sind, denn eine typische Kleinstadt in Deutschland besteht heute aus einem Kern, der oft mittelalterlichen Ursprungs ist, und einer mehr oder weniger großen Zahl von Dörfern, die im 20. und 21.