Die Städte wachsen und das Land verödet – das ist seit vielen Jahren der Trend in vielen europäischen Ländern. Doch in einigen Teilen Deutschlands ändert sich dieser Trend. Wird das Folgen haben?
Strukturschwache, wie wir ländliche Gebiete nennen, in denen nichts mehr passiert. Die Dörfer werden vor allem von Rentnern bevölkert, dort gibt es keine Arbeit mehr, keine Bäckerei, keinen Lebensmittelladen, keinen Arzt, keine Feuerwehr. Ländliche Gebiete in ganz Europa leiden unter Bevölkerungsrückgang, da es immer mehr Menschen in die Großstädte zieht.
Nach Angaben von Eurostat werden zwischen 2015 und 2020 in 355 von 406 überwiegend ländlichen EU-Regionen mehr Menschen wegziehen als zuziehen. Die Zahl der jungen Menschen und der Menschen im erwerbsfähigen Alter ging am stärksten zurück. Stattdessen wuchs die Zahl der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr in diesen ländlichen Regionen um durchschnittlich 1,8 % jährlich.
Die Folgen sind gravierend. Die Städte werden immer dichter und das Leben immer teurer. Wohnraum ist knapp und der Druck, jeden Zentimeter Grünfläche zu bebauen, wächst. In den ländlichen Gebieten nehmen der Leerstand und das Gefühl der Verlassenheit zu.
Entvölkerung in Ostdeutschland
Drei Jahrzehnte lang ging die Binnenwanderung in Deutschland nur in eine Richtung: vom Land in die Stadt. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 galt dies insbesondere für die ostdeutschen Bundesländer, die in einigen ländlichen Gebieten eine vollständige Entvölkerung erlebten. Andererseits stieg die Einwohnerzahl in Städten wie Leipzig, München und Berlin zwischen 2000 und 2020 teilweise um mehr als 20 % an.
Doch dieser Trend scheint gestoppt zu sein, wie die Bundes- und Landesstatistiken von 2008 bis 2021 zeigen. Während Studenten, Praktikanten und Ausländer weiterhin in die Städte ziehen, sind seit 2017 mehr 30- bis 49-Jährige mit Kindern und junge Berufstätige zwischen 25 und 29 Jahren aufs Land gezogen.
Weit über die Vorstädte hinaus
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, eine Denkfabrik, die sich mit dem demografischen Wandel und seinen Auswirkungen beschäftigt, hat festgestellt, dass der ländliche Raum mehr Menschen anzieht als je zuvor.
Gemeinsam mit der Wüstenrot Stiftung analysierte der Think Tank statistische Daten und untersuchte die Folgen der veränderten Wanderungsmuster in Deutschland. Im Jahr 2021 erzielten rund zwei Drittel der ländlichen Gemeinden Wanderungsgewinne, sagt der Sozialpsychologe Frederik Sixtus vom Berlin-Institut. Vor zehn Jahren traf dies nur auf jede vierte ländliche Gemeinde zu.
Billigerer Lebensraum, mehr Natur
Im Rahmen ihrer Analyse von Migrationsmustern besuchten die Forscher eine Woche lang sechs Gemeinden in verschiedenen ländlichen Gebieten in Deutschland, die derzeit ein erhebliches Wachstum verzeichnen, und führten zahlreiche Gespräche.
„Ich habe mich bewusst für den ländlichen Raum entschieden, weil die Gemeinden dort enger miteinander verbunden sind“, wird einer der Neuankömmlinge in dem Dorf in der Studie zitiert. „Und ich will ehrlich sein: Wenn man bauen will, sind die Kosten natürlich ein großes Thema. Und in ländlichen Gebieten ist das natürlich ganz anders.“
In vielen Interviews erfuhren die Forscher, dass die Menschen vor allem mehr und billigeren Wohnraum, mehr Natur und weniger Umweltverschmutzung suchen.
Ein anderer Stil des Landlebens
Die Forscher untersuchten auch die Auswirkungen des Zustroms neuer Einwohner auf die Einheimischen.
„Eine funktionierende ländliche Gemeinschaft ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Katerina Hintz, Direktorin des Berlin-Instituts. „Neuankömmlinge und Alteingesessene müssen ihr Zusammenleben aktiv gestalten.“
Wer auf dem Land aufgewachsen ist, bevor er in die Großstadt zog, weiß in der Regel, was ihn erwartet. An die Enge einer Landgemeinde muss man sich allerdings erst einmal gewöhnen.
„Am Anfang war es nicht einfach: Jeder kümmert sich um jeden. In einer Großstadt ist das nicht der Fall. Dort ist man anonymer“, sagte ein Neuankömmling.
„Auf der Straße grüßt jeder jeden“, sagte ein anderer. „Das ist ein schönes Gefühl, aber am Anfang war es auch etwas gewöhnungsbedürftig.